empöratoren

Es könnte langsam echt anfangen zu langweilen. Wenn‘s nicht so wichtig wäre. Und so andauend. Und so häufig. Wahlweise stehen Konservative aus dem amerikanischen Mittelwesten, klerikale Kopfbedeckungsträger aus dem nahen Osten oder Claudia Roth neben, vor oder mit einem Mikrofon in der Hand herum. Und sprechen hinein. Und sind erschütternd empört. Aua. Empöratoren allenthalben - Künstler der Erschütterung, Koryphäen des Krawalls, Matadoren der Rage.

Sie empören sich über Organverpflanzungsversuche am Nacktmull, den Versuch der Obama-Rgierung die USA in ein sozialistisches Emirat zu verwandeln oder über irgendeine piesepriemelige Provokation, Herabwürdigung, Diffamierung der - wahlweise - jüdischen, christlichen, moslemischen oder hinduistischen oder sonstigen Religion durch einen dusseligen Witz oder eine beknackte Äusserung, eine Zeichnung, einen Film, ein Radiointerview, eine unbedachte oder vorsätzliche politisch, philosophisch, weltanschaulich unkorrekte Bemerkung eines Andersdenkers oder Andersglaubers oder Andersseienden.

Die Empörung, die sie durchwallt, lässt ihnen die Backen schwellen wie beim Laubfrosch zur Brautrufzeit und die Augen treten hervor, als hätte man den Empörten rückwärtig an eine Pressluftflasche angeflanscht und aufgedreht. Die Arme und Hände flappen wütend, verzweifelt wie bei einem Vogeljunges das aus dem Nest gefallen ist und es werden mehr Zähne gefletscht als in der Notaufnahme einer kieferchirurgischen Klinik in einem Monat.

Der Mensch ist, wenn er sich empört, nämlich öfter mal kein wirklich schöner Anblick, meistens. Aber: Es kümmert ihn nicht. Er verzieht das Gesicht zu Grimassen, die er sich, wieder nüchtern geworden, eigentlich nicht gestatten würde. Aber das Gefühl einer mittleren Generalerregung spült alle solche ephemeren Bedenken leicht hinweg. Am Tag danach schmerzt vielleicht der Gesichtsmuskelkater. Aber was soll‘s. Heute wird gezeigt, was in einem drin ist und die Grimassen-Olympiade ist eröffnet.

Danach werden Fahnen verbrannt, Plätze besetzt, bepinkelt, bezeltet, bezettelt, Botschaften, Banken oder Labore gestürmt, Gotteshäuser dem Erdboden gleichgemacht. Und im Extremfall auch gerne mal Leute, die man der anderen, falschen vernichtungswürdigen Partei, Religion, Fußballverein oder Nationalität angehörig zu sein glaubt, erschlagen, frikassiert, verbrannt oder niedergetrampelt. So oder so: Jedenfalls wird richtig schön Party gemacht.

Empöratoren verfügen meistens über eine nicht versiegende Energiequelle, die sich aus einem Meer von Minderwertigkeitskomplexen, schlechten Lebenserfahrungen und der Fähigkeit speist, alles, aber auch alles, was ganz anders gemeint war, auf sich selbst zu beziehen. Negativ, versteht sich. Erfahrenere Empöratoren wissen, dass sie ja niemals nur für oder gegen eine einzige Sache brüllend durch die Strassen rasen, sondern immer für oder gegen DAS GROSSE UND GANZE. Die vielköpfige Hydra der einen oder der anderen Weltverschwörung, der es um nichts weniger geht, als das Armageddon wahlweise zu verhindern oder es endlich, endlich, endlich herbeizuschreien.

Deshalb kann es dem professionellen Empörator auch relativ egal sein, ob der Anlass seines akuten Furors wirklich begründet ist, weil wenn es um DAS GROSSE UND GANZE geht, wird ab 5:45 zurückgewütet, das die Funken spritzen. Und Kleinigkeiten wie Fakten, Fakten, Fakten - die kann man, nicht mehr Recht bei Trost, um so besser vergessen. Die halten nämlich nur auf. Das nimmt der ganzen Chose den Schwung, den Pfeffer, das Feuer und die Luft geht raus.

Die Wut der Empöratoren ist nämlich extrem selbstreferentiell. „Ich bin weil ich bin“, röhrt sie in die Welt. Sie ist der Godzilla unter den Gefühlszuständen und weil sie vorzugsweise als Massenphänomen auftritt, ist sie von geradezu urweltlicher Kraft. Und weil sie das ist, macht sie genau mit der Aussicht darauf auch Werbung für sich selbst: Ärgerst du dich noch oder tobst du schon? Und schon fliegen einem einzelnen Menschen mehr Sicherungen raus, als eine ganze Wohnanlage hat.Leicht einzusehen, dass eine so wirkungsmächtige Mechanik von den Maestros der politischen oder gesellschaftlichen oder religiösen Klaviaturen nur allzu gerne und meist sehr gekonnt bedient wird. Brodelnde Massen, die sich - zu Recht oder zu Unrecht - als im Leben irgendwie zu kurz gekommen empfinden, von der Leine zu lassen und durch die Strassenzüge zu jagen, als würde man ein Rudel belfernder Beagles einem panischen Fuchs nachjagen - das ist der feuchte Traum aller Hasardeure.

Ob man nun ein jämmerlicher Klerikaler in irgendeiner heruntergekommenen Provinz ist oder ein politischer Depp von hoher Erfolglosigkeit, ein vergessenswürdiger weltanschaulicher Tor oder ein vom Verfolgungswahn gejagter Einzelkämpfer für Wahrheiten, die keine sind und die eigentlich auch keiner hören wollen sollte: Der erfahrene Empörator schnitzt erwartungsvoll an seiner Erregungsfackel in der Hoffnung, eines Tages auf genug humane Zündschnüre zu treffen, die er damit anstecken kann.

Und: Warum auch nicht? Er macht sich selbst damit vielleicht zum goldenen Kalb, das endlich frenetisch umtanzt und dessen Emanationen geistiger Fladen, rückhaltlos bejubelt werden. Ein heruntergekommener Trottel mag hier eine Gelegenheit erkennen, sich - haste-was-kannste - in das massenpsychologische Äquivalent zu Lady Gaga zu verwandeln. Eben noch Loser, heute schon Idol. Denn auch fröhlich flackernde Scheiterhaufen können Zeichen der Huldigung für einen beschränkten Geist sein. Und Vollpfosten, die sogar in ihren eigenen brennenden Hauptstädten die Affirmation ihrer geschichtlichen Bedeutung erkannt haben wollen, die gab und gibt es ja genug.

Die Ironie dabei: Gleichzeitig sind vor allem die als Massenphänomen auftretenden Empöratoren nur allzuoft in ihrer faktischen Wirkungsmacht „self defeating“. Der enorme Energieeinsatz, den es braucht um tonnenweise Bleche wegfliegen zu lassen, wäre - vernünftig eingesetzt - oft wohl genug, wirklichen Problemen genauso wirklich beizukommen. So aber verbrennt sich diese Energie nur im Flammenmeer des Protests, hinter dem sich zudem die wirklichen Beweggründe der Instigatoren und Provokateure und Nutzniesser solcher Walpurgisnächte des Krawallschachtelismus wunderbar verbergen lassen.

Brennende Puppen, entzündete Fahnen des Gegners, erregt flappende Pappschilder mit grammatikalisch nicht immer einwandfreien Slogans, Spucke-Regen und Invektiv-Schauer, weit ausholend geschwenkte Banner der Selbstaffirmation - solche Paraphrenalia wäre, für sich genommen, ja auch als Aufgebrachtheitswerkzeug eines Indignations-Volksfestes ganz in Ordnung. Und könnte als Hilfsmittel der Affektabfuhr sogar heilsame Wirkung haben.

Aber das gerötete Auge des Betrachters tropft doch langsam vor Müdigkeit, der Flachbildschirn verbiegt sich fast, weil er es nicht mehr zeigen will, die Ohren pfeifen weil sie es nicht mehr hören können: Geifernde Priester die ihre Stummelgebisse blecken, Menschen deren Köpfe so heiss laufen, das ihnen die Haare brennen, tantige tutende Tremolisten, welche die erregt sich ihnen entgegenreckenden Mikrofone mit ihrer Erbitterung einspeicheln.Nein, das ist kein klarer Ärger, noch nichtmal heilsame Wut, die sich da oft genug Bahn bricht, es ist die Attitüde er verfolgenden Unschuld, die sich in einem anmaßenden, selbstbefriedigenden Prozess davon überzeugen möchte, dass ihr erlaubt sei, dem Gegner, dem Feind, dem anderen ohne Skrupel oder Zurückhaltung zuzufügen, was der Auto-Erregte selbst oft nur glaubt oder befürchtet, dass es ihm selber zugefügt worden wäre oder irgendwann zugefügt werden könne.

Der gestandene Empörator braucht also nur nur die Empörung selbst als sich stetig erneuerbare Energiequelle wie permanent Rechtfertigung seiner eigenen Existenz. Ein politisch, religiöses, weltanschauliches perpetuum mobile, frei Haus geliefert von Tagesschau und Tagesthemen.

Der Umschaltfinger sucht verzweifelt die Fernbedienung ab, ob es irgendwo vielleicht gerade die zwanzigste Wiederholung der Muppet-Show gibt. Die Empörung von Krümelmonstern über die Leere in ihren Keksdosen: Ein nervenschonendes Festival der Rationalität.