zwischen den stühlen

oder: gibt es den intelligenten, deutschen Unterhaltungsfilm?

Es war vor wenigen Jahren eine unter Drehbuchautoren weitverbreitete Methode der Selbstkasteiung, sich vorzustellen, was wohl geschehen wäre, hätte einer von uns die Filmidee von "Täglich grüßt das Murmeltier" (Groundhog Day) gehabt. Und dazu den verzweifelten Mut, diese bei Produzenten, Redakteuren und Filmförderern einzureichen. In meinen eigenen Imaginationen sah ich mich das Gebäude einer deutschen Funkanstalt verlassen, das malerisch auf einem windumtosten Hügel über einer dicht besiedelten Tiefebene gelegen ist, den Blick unverwandt auf die Visitenkarte gerichtet, die mir ein um meine Gesundheit besorgter Redaktionsleiter unauffällig ins Jackett gesteckt hätte und auf der die Adresse eines erstklassigen Neurologen vermerkt wäre. Andere Kollegen hatten Vorstellungen, die entweder sehr viel burlesker oder wesentlich trübsinniger ausfielen.

Erstaunlicherweise hatten diese Vorstellungen ein Doppel, einen spiegelverkehrten Abguß sozusagen: Redakteure und Produzenten, die beim Bier zusammen hockten und sich grämten, das sich niemals die Tür zu ihrem Büro öffnet und ein Autor sie mit einer Idee überrollt, die so atemberaubend, gewaltig, frisch und überwältigend ist, wie eine Lawine im Frühjahr.

Zwei Jahre zuvor waren mein Kollegen Bergmann und ich aus mehreren Redaktionsbüros geflogen, weil wir eine Komödie über einen heterosexuellen und einen schwulen Mann machen wollten, die durch widrige Lebensumstände gezwungen werden, zusammen in eine Wohnung zu ziehen (abgelehnt unter anderem mit der Begründung: wer soll sich denn so was angucken?) und ich war in diesem Konflikt also Partei, neigte –verständlicherweise – heftig der Autorenposition zu. Trotzdem: ein nagender Zweifel blieb.

Wenn alle – Redakteure wie Autoren, Produzenten wie Regisseure – vor dem Murmeltierbau lauern und so verzweifelt wie vergebens auf das Erscheinen dieses formidablen Nagers warten, hat es vielleicht wenig Sinn, sich gegenseitig den vorwurfsvoll gereckten Zeigefinger ins Auge zu stecken. Wir müßten uns schon mal fragen, warum sich dieses scheue Tier – das auf schlecht Deutsch "intelligentes Unterhaltungskino" genannt wird – so hartnäckig allen Lockungen versagt und sich nur gelegentlich und vollkommen überraschend zeigt.

Es gibt eine einfache These, die den Vorzug hat, universell anwendbar zu sein und die, besonders auf Parties, wo einsame Frauenspersonen umherstehen, die man mit einer Portion abgeklärten Zynismus beeindrucken möchte, ihre Wirkung nie verfehlt: man schnauft tief ein und aus und tut kund, daß wir Deutschen einfach keine wirklich großen Dramatiker hervorgebracht hätten. Auf das nun einsetzenden Wutgeheul eventuell anwesender Germanisten, die es – berufsbedingt – mit dem beeindrucken von Frauenspersonen schwerer haben als unsereiner und die mehrfach: "Aber Goethe, aber Schiller..." rufen, könnten wir trocken kontern: aber keinen Moliere, keinen Shakespeare. Und - recht hätten wir.

Man verzeihe die gewagte These, aber wir Deutschen tun uns schon traditionell recht schwer mit dem dramatischen Erzählen, wenn es denn nicht gleich ganz furchtbar dramatisch daherkommt – meisterhaft darin: Schiller – oder es vor Deutungs- und Bedeutungsmöglichkeiten kracht, was zweifelsohne eher die Disziplin des Frankfurter Groß- und Altmeisters war. Kunst, Sprachkunst und deren dramatische Zwillingsschwester zumal, kommt uns Deutschen gerne im Priestergewand eines "Bühnenweihefestspiels" daher, das heißt sie macht dicke Backen und – wenn der Umweg in eine andere Disziplin erlaubt sein sollte – ein Mozart unterläuft uns nur, ein Wagner, ein Beethoven aber, die liegen uns offensichtlich nahe. Die Heiligkeit der Kunst sei unverletzlich und nichtzuletzt darum haben Philologen, Germanisten und andere Textgelehrte so viel Arbeit darauf verwandt, uns lange vor den gepfefferten Briefen des Wiener "Wolferls" wie vor den deftigen Sentenzen in der Blocksberg-Szene des Frankfurter Wolfgangs zu beschützen.

Auch die Einwände "Aber Büchner, aber Lessing" sind nur bedingt zulässig, sind die beiden, aus unterschiedlichen Gründen, doch eher dem zweiten Glied der deutschen Dramatikerriege zugeordnet, während Moliere und Shakespeare unangefochten als die jeweiligen Nationaldichter glänzen dürfen. Und dieser Glanz wird nicht dadurch getrübt, daß der eine praktisch ausschließlich, der andere zum Gutteil, auf dem Gebiet szenenweise krachlederner Komödien glänzte – ganz im Gegenteil. Die beiden europäischen Giganten haben manchmal gerne und dann unüberhörbar auf einem Furzkissen Platz genommen - die vorweggenommene Fusion von Jerome Savary und Botho Strauß sozusagen.

Sieht die Bilanz in der Literatur auch besser aus – es gibt ohne Zweifel eine germani(sti)sche Tendenz, diejenigen abzustrafen und herunterzunoten, die zu nahe an der Rampe, die zu deutlich für die Kinder des Olymp spielen. Vielleicht hätte es F.W. Grabbe in einer anderen Sprachkultur zu mehr als zu einem schreibenden Rumpelstilzchen gebracht, vielleicht hätte sich ein Kotzebue zu mehr entwickeln dürfen, als zu einem Boulevard-Autor – übrigens eine Kategorisierung, die mir nur im Deutschen einen so verächtlichen Unterton zu haben scheint.

Teil dieser Verachtung war es, Handwerk als etwas ephemeres abzutun, ja, sich - in den extremeren Ausformungen dieser Haltung - dem Handwerk oder dem Erlernen desselben in Gänze zu verweigern. Der Priesterkünstler braucht eben keine "künstlichen" Hilfsmittel wie Handwerklichkeit, die nur das Große & Ganze stört. Wenn die Kunst-Schamanen sich Bedeutungsvolles in den Bart brabbeln, werden sie ungern darauf aufmerksam gemacht, daß es ihrer Vortragskunst eventuell an Struktur, an Geist und an Verständlichkeit mangelt, umgekehrt wurde aus der Abwesenheit dieser Dreiheit abgeleitet, hier habe einer ganz besonders heftig und bedeutend visioniert.

Der bereits erwähnte F.W. Grabbe hatte die undeutsche Idee ein Theaterstück "Scherz, Satire Ironie und tiefere Bedeutung" zu nennen und nicht gänzlich ohne Sinn, Verstand, Einsicht und höheren Sarkasmus ist dort jene Szene, wo es einen nächtens frenetisch dilettierenden Dichter ob der Gewalt seiner eigenen Sprachhülsen schier davonträgt. Ich bilde mir ein, in der virtuellen, traumhaften Inszenierung dieses Theaterstückes durch den Theaterleiter Moliere habe die Figur des Dichters zudem ihre Darmwinde nicht bei sich halten können.

Kann es nun sein, daß ein sich als Autor bezeichnender Mensch just zu der Zeit, in der das Kulturleben dieser Republik nicht zuletzt durch den Titaninnenkampf Verona vs. Naddel geprägt ist, während gleichzeitig Botho Stauß bis auf weiteres geräuschlos in der Ueckermarck verschwunden scheint, einen Mangel an Deftigkeit einklagt? Kann man ernsthaft die Abwesenheit von Körperwinden bedauern, solange Harald Schmidt und Herr Raab den späten Abend regieren? Geht das?

Ja, das geht, weil der Schmidt, Harald und der Strauß, Botho z.B. sich einander bedingen, weil sie sich gegenseitig brauchen, und sei es nur, um aufeinander einschlagen, sich übereinander mokieren zu können. Und nur weil die Zeitläufte gerade den Raab‘s mehrere Längen Vorsprung geben, muß man den Strauß dafür nicht unbedingt auf die Liste der bedrohten Arten setzen und ihn über das unbedingt Notwendige hinaus bedauern. Die Priesterkünstler brauchen einen furzenden Affen, den sie angeekelt vorführen können und umgekehrt, brauchen die Spaß-Gorillas einen Würdenträger, dem sie Fallobst an den Schädel werfen. Einer der Gründe, warum uns das "intelligente Unterhaltungskino" abhanden gekommen ist, ist genau diese Dichotomie, dieses strikte Schisma zwischen Kunst und Dreck, das in einem sich gegenseitig selbst verstärkenden Prozeß immer nur entweder Ambrosia oder Spülwasser, Sekt oder Selters sprudeln läßt - wir Deutschen teilen uns, wenn wir sie denn nicht erobern wollen, die Welt dann doch gern sauber ein.

Im deutschen Kino regierte, nach der großen Zäsur der Nazizeit, lange das Schnulzenkartell, bevor dieses, siech geworden, ökonomisch darniederliegend, in den 60er Jahren von den Heroen des Jungen Deutschen Films endgültig sturmreif geschossen und – wenigstens teilweise – überrannt wurde. Dieser Prozeß war notwendig, lange überfällig und er führte zunächst zu einer neuen Blüte des filmischen Erzählens in Deutschland. Ein Verdienst, daß dem Autorenfilm und seinen Protagonisten ohne jeden Abstrich gebührt.

Aber – übernehmen Revolutionen über kurz oder lang die Teile der alten Ordnung, die ihnen als brauchbar erscheinen, verändern diese, lösen sie deren Bestandteile in sich auf und transzendieren sie so den Widerspruch zwischen Alt und Neu, hatte sich Anfang der 80er Jahre eine unheilvolle Allianz zwischen den langsam faltiger werdenden Jungfilmern und den jurassischen Echsen der Altbranche ergeben. Beide kriselten, unter den gigantischen Druck der amerikanischen Unterhaltungsindustrie geraten, ökonomisch wie künstlerisch vor sich hin und beide – in heftiger, alter, herzlicher Feindschaft ineinander verkeilt – suchten schnell die Schutzräume der Filmförderung auf, weil sie festgestellt hatten, daß es dort für beide Seiten einfacher ist, in stiller Koexistenz die mageren Förderungstöpfe blitzblank zu lecken - wobei man sich, ritualisiert, formelhaft, öfter mal gegenseitig auf die Finger klopfte - als an den festgefahrenen Strukturen etwas zu ändern.

Hier saß also, bildlich gesprochen, der furzende Affe Altbranche, dem es ab und zu noch mühsam gelang, größere Publikumsmassen für seine dünne Wassersuppe zu begeistern, dort saßen die früh gealterten Jungfilmer, hysterisch ihren Verfall ignorierend, wie die Blanche in "Endstation Sehnsucht" und träumten von der Zeit, als Faßbinder noch lebte und sie noch etwas zu erzählen hatten.

Da sie ja nun das Handwerk des Erzählens nicht erlernt oder konsequent weiter entwickelt hatten, da sie es – bis auf wenige Ausnahmen - ablehnten, sich anderen Kategorien als denen ihres Priesterkünstlertums zu unterwerfen, da es nun zum Ausweis eines richtigen, deutschen Filmkünstlers gehörte, daß er seine Filme eben nicht fürs Publikum machte, wandte sich das deutsche Publikum in Massen ab. Und nicht etwa, weil der Plebs einfach zu blöde gewesen wäre, etwas anderes als die "Supernasen" zu goutieren. Der Plebs bekam - bis auf ein paar Ausnahmen, die mit den Namen Hark Bohm oder Reinhard Hauff verbunden waren – einfach wenig angeboten, das ihm entsprach. Nur ab und zu erhob sich ein "Boot" aus diesem Meer der Tränen, begeisterte eine "Katze" , eroberten "Männer" die Leinwand - weiße Elefanten, die es zur Verblüffung aller Beteiligten, doch noch gab.

Anders gesagt: während das deutsche Kommerzkino sein Heil in der rasenden Selbstverblödung suchte, entzog sich der Teil des Massenmediums Film, der sich hartnäckig immer noch jung und deutsch nannte, dem Konflikt und der Auseinandersetzung, indem er die "Massen" zunehmend ignorierte. Indem er sich ihnen – pikiert - entrückte, entzog er sich aber seine eigene Legitimität und es war absehbar, das dieser Zustand so nicht bleiben konnte.

Aber indem sich diese verhängnisvolle deutsche Tendenz zur kulturellen Dichotomie einen Ausdruck in den ökonomischen Strukturen suchte und ihn - vorübergehend - auch gefunden hatte, verfestigte sich, was eine epochenbedingte Erkrankung der oberen Atemwege hätte sein können, zu einer soliden Lungenentzündung. Deutsche Autoren, Produzenten, Redakteure, dem Erzählen kulturell und – aus den genannten Gründen - historisch nicht so zugeneigt, wie man es hätte erwarten dürfen, mußten sich also schwerer tun als andere.

In einer kulturellen Umgebung, die den Begriff "intelligentes Unterhaltungskino" als ein Oximoron betrachtet, als eine nicht erlaubte Zusammenfassung widerstreitender Elemente, hat es die "Kultur des Erzählens" einfach schwerer sich zu entwickeln, noch dazu, wenn sie mitten in erneuten Umbrüchen und Veränderungen steckt, ausgelöst durch das Aufkommen der neuen Megakonzerne, neuer Technologien, neue Vertriebswege und einer sich immer mehr beschleunigenden Erzählkultur (oder – je nach Standpunkt – Unkultur).

Was nützt uns nun also eine solche historischer Abriß, dessen Schlußfolgerungen man teilen oder eben nicht teilen mag? Hilft uns das in der Praxis, hier der Praxis des Drehbuchschreibens, weiter?

Nehmen wir eine Filmfigur als Hilfsmittel, eine Figur aus einem Film, der ein herausragendes Beispiel für das sein könnte, was unser Thema ist. Die weibliche Hauptfigur des Films "Greencard" von Peter Weir, eine junge, romantisch-unzeitgemäßen Hobbies und Gefühlen zuneigende Frau, das Gegenteil von allem, was eine junge New Yorkerin ausmacht (und was im Film von ihrer hinreißend schnodderigen Freundin aus der Upper-East-Side repräsentiert wird). Diese junge Frau, gespielt von Andy MacDowell, die versucht unter der Vortäuschung falscher Tatsachen, einen hinreißenden, exotischen Dachgarten im obersten Stockwerk eines alten Wohnblocks am Central-Park zu retten, trägt den Vornamen Bronte.

Und tatsächlich – man muß dem Autor gratulieren: für eine immer leicht abwesende, stets ätherische aber dabei sehr "dedicated" wirkende junge Frau, kann es kaum einen schöneren Vornamen geben als dieses extrem ausgefallene "Bronte". Ein hinreichend komplizierter Vornamen für eine hinreißend komplizierte Protagonistin. Im Film wird dieser Name auch noch erklärt: sie heißt "Bronte", weil sie und nach jenen schriftstellernden Bronte-Sisters genannt wurde, von denen eine im 19ten Jahrhundert den romantisch-depressiven Roman "Wuthering Heights" geschrieben hat. Und – kulturelle Ordnungshüter aufgepaßt – ja: wir befinden uns immer noch in einer Komödie!

Man mag es für übertrieben halten – aber ich halte diese kleine, possierliche Nebensächlichkeit für einen perfekten Ausdruck einer hochentwickelten Erzählkultur, der so in einem deutschen Film kaum möglich gewesen wäre. Ein eher dem Massengeschmack zuneigender Producer, hätte sicherlich viel Energie und eventuell sogar etwas Hirnschmalz darauf verwendet, einen Namen, der ihm kompliziert und unverständlich erschiene, mit Stumpf und Stiel zu tilgen, weil er davon ausgegangen wäre, daß alles, was er selber nicht versteht, das Publikum vergrault oder – schlimmer noch: selber im Besitz einer hinlänglich guten literarischen Schulbildung, hätte er sich dringend dafür eingesetzt das stumpfe Publikum nicht mit ihm unverständlichen Dingen zu belästigen.

Geichzeitig wäre ein eher dem Wahren, Schönen, Guten zuneigender Redakteur eventuell darüber empört, die Bronte-Sisters in einem publikumsgeneigten Komödienspaß verwurstet zu sehen oder er hätte die dringende Sorge um den eventuellen Orientierungsverlust des tumben Massenpublikums mit dem gebildeteren Producer geteilt – ich bin mir also in jedem Falle fatal sicher, daß in keinem deutschen Film, nachgerade einer Komödie, eine Figur "Bronte" hätte heißen dürfen. Es sei denn, dieser Film sei von vornherein auf ein Publikum zugeschnitten, welches das Wort "Feuilleton" fehlerfrei vor- und rückwärts buchstabieren kann. Was wiederum, im Regelfall, der Massentauglichkeit eines Filmwerks extrem abträglich ist.

Eine Kleinigkeit? Ja, eine Kleinigkeit – aber eine die sich extrapolieren läßt. Bleiben wir bei "Greencard", so stellen wir fest, daß ein dicklicher französischer Komponist mit vager krimineller Vergangenheit, dafür ohne Aufenthaltserlaubnis und die emotional ziemlich komplizierte gestrickte mittelständisch-aristokratische Bronte, nicht gerade das typische Liebespaar in einer Mainstream-Komödie sind, ja, daß der Ort der Handlung, daß die Lebenswelten in denen sie sich bewegen, ihre Biographien – und vieles mehr – so gar nicht dem entsprechen, was im nie geschriebenen, aber immer wieder gerne zitierten Handbuch "How to create a certain success", als Anforderungsprofil für einen Unterhaltungsfilm beschrieben wird. Noch dazu bieten sie so kaum eine Folie für Product-placement, was das Projekt in bestimmten Redaktionen sofort in die "Mülleimer"-Liga katapultiert.

Eigentlich ist alles an diesem Film irgendwie so, daß es sich den Kategorien der "normalen" humoristischen Hollywood-Schmachtfetzens entzieht – und ihnen dann genau dort wieder Tribut zollt, wo der Film in Gefahr ist, den Kontakt zu seinem Publikum zu verlieren. Um es anders zu sagen: "Greencard" und andere Filme seiner Machart, sind meiner Ansicht nach, sehr ausgediftelte Werke, weil sie einen ungleich schwereren Balanceakt vollführen müssen. Sie jonglieren, voltegieren und kankeln auf dem schmalen Zaun, der den U- und E-Bereich voneinander trennt. Es sind Filme, die höchst komfortabel und ehrenvoll zwischen den Stühlen sitzen. Und – nebenbei – kommerziell unglaublich erfolgreich sind.

Wir tun uns also mit dem "intelligenten Unterhaltungsfilm" nicht deswegen so schwer, weil dieser Begriff per se widersprüchlich, ein Oximoron, ein Unding wäre, sondern weil solche Filme – wenn sie gelingen sollen – eine klug kalkulierte Synthese darstellen. Intelligente Unterhaltungsfilme sind immer typische "crossover"-Produkte, die mit jeweils einem Fuß auf dem Rummelplatz und mit dem anderen auf der Staatstheaterbühne stehen und sich hartnäckig weigern, von kulturellen Ordnungshütern und Kommerz-Kapitänen vor die Alternative Logenplatz oder Schweinekoben gestellt zu werden.

In einer Filmkultur, die sowohl dem Handwerk des Erzählens als auch dem handwerklich Erzählten nicht unbedingt freundlich gesinnt war (Erinnert sich noch einer: "Der narrative Film ist tot"?), ist es natürlich ungleich schwerer, diesen Balanceakt durchzuführen. Er setzt eine merkwürdige Mischung aus Vertrauen und Selbstvertrauen voraus und, machen wir uns nichts vor, auch Hollywood tut sich mit dem, was angeblich sein Lieblingsmetier ist, gelegentlich sehr schwer. Harold Ramis durfte seinen "Groundhog Day" auch erst realisieren, nachdem er mit "Ghostbusters" den Studios zwei geldscheffelnde "Knallerquickies" geliefert und den Bossen damit genug Sicherheitsgefühl verliehen hatte.

Sicherlich hat sich, was die Kultur des Erzählens in bewegten Bildern angeht, in Deutschland einiges getan und der lange vernachlässigte, ja bekämpfte "Mittelbereich" hat sich vorsichtig erholt. Die Krücke, an der er sich - zugegeben mühsam - aufgerichtet hat, war vor Jahren die Komödie. Und nicht jede davon war gelungen. Allerdings: wir Deutschen sind ein ordentliches Volk und kaum haben wir an der Komödie das Gehen halbwegs gelernt, wurde diese Krücke weggeworfen und man hat sich mit teutonischem Furor auf das Herstellen von kulturell hochwertigen oder kommerziell vielversprechenden "Me-Too" Filmen gestürzt: jeder Macher ein zweiter Shortcut-Altmann oder ein Bonsai-Tarantino. Der deutsche Action-Film erhob sein krauses Haupt und versuchte sich mit dünnbrüstigen Etats daran, dem in Scharen flüchtenden Publikum den deutschen Bruce Willis zu verkaufen, wo doch das Publikum an der gleichen Kinokasse, für das gleiche Geld, den Echten haben konnte.

Und – peinlich, peinlich - noch bevor es hierzulande bemerkt wurde, hat sich Hollywood selbst eines Besseren besonnen. Wir reiben uns verblüfft die Augen, wenn mit "American Beauty", "Beeing John Malkovich" und "Magnolia" Filme auf der Leinwand erscheinen, die – im positivsten Sinn des Wortes – so europäisch sind, wie es nur geht. Hierzulande irren derweil verzweifelte Filmteutonen umher, die immer noch "großes Kino" für kleine Etats oder deutsches Starkino mit den Leuten machen wollen, die vielleicht die Hochglanz-Seiten der "Gala", aber auf keinen Fall Kinosäle füllen können. Dabei gerät der einzige durchgängig gültige Merksatz in Vergessenheit: The story is the star, stupid! Von "Die Katze" über "Keiner liebt mich" zu "Lola rennt" und "Sonnenallee" zieht sich eine Linie – ihr Erfolg basiert auf ungewöhnlich erzählten Stories, darauf, daß sie das Publikum neugierig gemacht haben. Und nicht darauf, daß sie amerikanischen Action-Monstren mit dünnbrüstigen Auto-Stunts antworteten, die sich in einem sonntäglichen "Tatort" noch passabel gemacht hätten, auf der Leinwand aber einfach nur provinziell aussehen. Und wer glaubt "Anatomie" würde zu dieser Behauptung die Gegenthese bilden, irrt: der Film funktioniert, abgesehen von der soliden Handwerklichkeit mit der er gemacht ist, auf einer "starken" Dramaturgie – ob man das Genre nun mag oder nicht.

Wir werden – hoffentlich schnell genug – feststellen, daß unsere einzige Chance, uns auf dem Kino-Markt zu behaupten, darin liegt, den oben beschriebenen Balanceakt zu vollführen. Weil Filme, die zu Recht als "intelligentes Unterhaltungskino" figurieren, nicht gänzlich zufällig, meist solche von mittlerer Budgetgröße und damit realistischerweise in Deutschland herstellbar und halbwegs refinanzierbar sind. Typische Vertreter dieser Art von Erzählkino sind Filme wie "The Full Monty" und "Trainspotting" aus England.

The story is the star, stupid! Solange sich diese Erkenntnis nicht durchgesetzt hat – übrigens auch bei Autoren (mich eingeschlossen), die ihre potentiellen Star-Produkte zu oft nachlässig erzählen, sie nicht wasserdicht machen, sich hinter grazilem "Auteur"-Geschwafel verstecken – wird es mit dem "intelligenten Unterhaltungsfilm" und damit mit dem deutschen Film als Ganzes nichts werden. Dann behalten die Recht, die das Schisma bewachen, die Grenzhüter und Verwalter der Setzkästchen.

Wir sind, mal wieder, zum Erfolg verurteilt und wir werden, in einer sich radikal kommerzialisierenden Umwelt, diesen Erfolg nur erringen können, wenn wir uns auf die einzige Stärke besinnen, die wir haben: wir sind näher an unserem Publikum und sollten, potentiell zumindest, schneller erfassen können, welche Geschichten es von uns will. Und dies nicht, weil wir eilfertige Dienstleister für gelangweilte Couch-Potatoes sein wollen, die Augenfutter brauchen, während sie ihre Freizeit zerkauen, sondern weil Filme und Kino-Filme zumal, noch immer das Potential und die Funktion haben, die Lebensrealität des Publikums zu spiegeln und zu transzendieren, seine Ängste, Hoffnungen, Wünsche, Phantasmagorien in erzählbare Strukturen zu gießen, weil das – und nicht unsere Selbstentäußerungen – unser Beruf ist und weil das Publikum, seit den Tagen eines Theaters namens "The Globe" im elisabethanischen England, das unveräußerliche Recht hat, uns für schlechte Stücke mit toten Katzen zu bewerfen. Oder, schlimmer noch, einfach wegzubleiben.

Uns dieser Aufgabe zu stellen, würde auf der Seite der Produzenten und Redakteure allerdings voraussetzen, daß sie sich dem Risiko aussetzen, nicht noch mehr "Me-too" Produkte herstellen zu wollen und auf Seiten der Macher, daß sie endlich die Rezeptbücher zur Seite legen und wieder originäre Geschichten erzählen. Dann hätten wir vielleicht eines Tages sogar exportierbare "Ware" in Händen, weil es verständlicherweise ein internationales Publikum langweilt, deutsche Hollywood-Klones mit Stars die keiner kennt zu sehen. Wenn wir endlich aufhören, alles so verdammt richtig machen zu wollen, dann könnten wir uns auf gewagtere Klettertouren einlassen und dabei eventuell - Mut, Können, Präzision, Phantasie und ein Quentchen Glück vorausgesetzt - diesen merkwürdig moppeligen Nager, den die Amerikaner "Groundhog" nennen, vor seiner Höhle hockend antreffen.

Und, vielleicht, grüßt er uns dann sogar.


Die „archaische“ Rechtschreibung ist deutlicher Hinweis darauf, dass dieser Artikel schon vor vielen Jahren in der Süddeutschen Zeitung stand ... ich befand ihn für trotzdem noch eventuell lesenswert, darum steht er nun hier ...